Gedankensplitter
So viel Medizin wie nötig, so zurückhaltend wie möglich, jedoch nur so, wie vom gewissenhaften Arzt verantwortbar und auch verantwortet wird!
Dies ist kein Plädoyer für eine minimalistische, sondern für eine vernünftige und bezahlbare Medizin.
(Feststellungen zu den Entwicklungen im Gesundheitswesen, beobachtet über Jahre. Verfasst 2016-2023, Dr. Stephan von Arx) Stand Juni 2023
Die Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien steigen stetig. Längst müssten Fakten und Faktoren für diese Kostensteigerung sorgfältig abgeklärt werden. Die bisherigen Erklärungen (zunehmende Ueberalterung, Technisierung der Medizin etc.) genügen als Erklärung nicht. Politiker und Ökonomen finden die Schuldigen für diese Entwicklung meist schnell: Die Ärzte. Dies ist ein „Kurz-Schluss“. Nur auf die Ärzte zu zielen, ist zu einfach. Auch deshalb zeigen die bisherigen Massnahmen an Preisen und Tarifen – gemessen an den ganzen Gesundheitskosten – nur wenig Erfolg. Die Kostenentwicklung beruht auf einem vielschichtigen und komplexen Zusammenspiel aller Leistungserbringer und Konsumenten/Patienten und kann nur gemeinsam entschleunigt werden.
Allein am Tarifsystem herum-schrauben bringt weder eine Wende noch wenigstens den Stillstand der Kosten-Entwicklung. Das System der Medizin an sich im weitesten Sinn muss überdacht werden. Das System besteht aus dem Wissenschafts-Verständnis von Aerzten, angeführt von den Opinion-Leaders (z.B. Universitäts-Spitäler). Diese wiederum sind beeinflussbar durch Lobbyisten in Politik, Forschungs-Sponsoring Pharma-Industrie etc. Ein geschlossener Kreis, der sehr schwer beeinflussbar ist.
Selbstbedienung in der Gesundheitspflege
Das Gesundheitswesen hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Zwar vertrauen viele Patienten nach wie vor der Empfehlung des Arztes, doch locken zugleich zahlreiche alternative Behandlungsmöglichkeiten. Subtile Werbung an Arzt-Vorträgen, in Fachartikeln oder Gesundheitssendungen schüren Interesse, wecken Begehrlichkeiten oder Hoffnung. Dadurch hat sich ein eigentlicher Gesundheitsmarkt entwickelt, der sowohl Konsumenten wie auch Anbieter beeinflusst und kostentreibende Verhaltensmuster begünstigt. Dem Arzt eröffnen sich damit oft nicht nur neue Therapiemöglichkeiten, sondern auch neue Einnahmequellen. Dem Patienten verleihen neue Therapieformen Hoffnung – wenn auch teilweise unbegründet. Welche Kriterien und Motivationen prägen Entscheide von Ärzten und Patienten? Welche Überlegungen drängen sich auf? Eines ist sicher:
Das Gesundheitswesen ist eine wichtige Errungenschaft unserer Gesellschaft und muss als Gesellschaftsaufgabe weitergeführt werden. Jeder ist aufgerufen, kritisch aber aufbauend mitzudenken, Ideen und Vorschläge für Verbesserungen einzubringen, Kompromisse einzugehen. Voraussetzung ist ein sorgfältiges Analysieren der Fakten.
„Heilung ist möglich, längeres Leben ebenfalls, die Forschung schafft neue Methoden….“ Dieser Grundtenor prägt die Medizin der letzten Jahrzehnte. Er beruht auf grossartigen Entwicklungen wie beispielsweise der Pharmakologie (wie Cortison, Antibiotika, Fortschritte in der Onkologie, Herzchirurgie, Gefässchirurgie etc.). Endoskopische Verfahren für Diagnostik und Therapie sind ebenfalls phantastisch. Aus all diesen Erfolgen wird sehr viel Hoffnung geschöpft, doch sie sollen gezielt und lediglich bei tatsächlicher Indikation eingesetzt werden. Eine unkritische Fortschritts-Hoffnung ist deshalb auch in der Medizin oft realitätsfremd. Es gilt zudem, alles Neue nicht nur auf die Wirksamkeit, sondern auch auf die Nachhaltigkeit, den echten Patienten-Nutzen und die ökonomische Tragbarkeit zu überprüfen. Es ist unethisch, unnötigerweise kostspielige Methoden einzusetzen, damit die Neugier des Arztes auf ihre Kosten kommt, ohne dass die Kosten-Folge bedacht wird. Vermeide unnötige «Amortisation» durch Über-Diagnostik und Über-Therapie! Leider ist es oft folgendermassen:
Art und Weise des Angebots, sowie die eventuelle Grundhaltung des Anbieters im weitesten Sinne können die Nachfrage manipulieren…! Dabei sind Heilungsversprechungen nicht erlaubt, vom ethischen Standpunkt aus gar verboten.
Aerzte und andere Anbieter von Gesundheits-Dienstleistungen sind auf mehreren Ebenen gefordert: Sie sind ihren Patienten verpflichtet und zugleich Unternehmer oder einem Unternehmen unterstellt. Jeder Betrieb, sei es ein Dienstleistungs- oder Produktionsunternehmen, muss nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien geführt werden. Nur so kann er überleben. Doch die Gewinnmaximierung darf in der Medizin nicht die erste oder gar einzige Antriebsfeder sein. Dies widerspricht den ethischen Grundsätzen. Im Vordergrund steht: Gefordert ist eine angemessene Behandlung mit optimaler Qualität und minimalen Kosten. Zugleich aber besteht auch unter den Anbietern ein wachsender Wettbewerb. Jede Klinik, jeder Arzt will am „schnellsten“ und „gründlichsten“ sein. Dies bewirkt oft eine unnötige und teure diagnostische und therapeutische Hyperaktivität, ohne wirklichen Patienten-Nutzen. Es macht Sinn, den Einsatz von Therapien mit den Patienten zu diskutieren, Alles sorgfältig abzuwägen und gemeinsam den weiteren Weg zu bestimmen.
Den Patienten fällt damit im Gesundheitsmarkt mehr Verantwortung zu. Sie sind aufgefordert, aktiv ihren Behandlungsprozess mitzugestalten.
Folgende Fragen stehen dabei im Vordergrund: Wie kann ich persönlich die Genesung unterstützen? Welche Behandlungen und Therapien entsprechen mir und bin ich bereit, mit Verhaltensänderungen im Alltag die Gesundung zu unterstützen? Wichtig ist, dass die Patienten Therapien wählen, die für eine Heilung notwendig sind – jedoch nicht beliebig Therapien testen, nur, weil die Versicherung die Kosten trägt. Die Krankenversicherung ist eine Risiko- und keine Sparversicherung, bei der von Zeit zu Zeit Kapital oder Rendite abgeholt werden kann. Also sollte nicht jeder Prämien-Franken vom Versicherten als medizinische Leistung zurückgeholt werden!
Um all diese Anliegen richtig aufeinander abstimmen zu können, lohnt es sich, die Begriffe Krankheit und Gesundheit vorgängig zu analysieren.
Krankheit: Wenn Körper, Geist oder Psyche rebellieren und dies anmelden
Der gesunde Mensch befindet sich im Gleichgewicht. Geist, Psyche und Körper sind ausgewogen. Diesen Zustand beschreibt der Begriff Allostase. In diesem Zustand kann sich der Mensch an Belastungen anpassen und lernt neue Herausforderungen zu bewältigen. Diese Erfahrungen speichert er im Körper ab, integriert sie in sein Leben und vererbt sie gar teilweise an die Nachkommen.
Akute oder fortwährend intensive Herausforderungen können den Menschen zu stark belasten und die Allostase aus dem Gleichgewicht bringen. Der Organismus reagiert auf wiederholte Fehl- oder Überbelastung mit spürbaren Alarmreaktionen, die die Betroffenen meist als Krankheitssymptome deuten. Und diese müssen „weg“….und zwar natürlich möglichst schnell. Hier kommt es schon zum Konflikt: auch eine zu „energische“ Therapie kann in gewissen Situationen überfordern. In lebensbedrohenden Situationen muss natürlich mal sofort das Ueberleben gesichert werden. Dann aber muss gesucht werden, weshalb diese kritische Situation wirklich entstanden ist. Wie steht es mit der „Grund-Gesundheit“ dieses Menschen? Wo besteht Veränderungsbedarf?
Die Symptome warnen, dass die Belastung – akut oder langfristig – offenbar zu gross ist, und Schaden anrichten kann. Die Symptome zeigen sich akut oder chronisch, in den Bereichen Psyche (z.B. Depression), geistig (z.B. psychotische Entwicklung) oder körperlich (in allen uns beschäftigenden körperlichen Störungen „von Kopf bis Fuss…“). Symptome widerspiegeln also sehr oft einen überlasteten Zustand des komplexen Systems „Mensch“.
Nicht Symptome beseitigen, sondern auch Ursachen angehen und wenn möglich beheben, was ebenso zur ärztlichen Tätigkeit gehört. Dazu gehört auch die Aufgabe, das soziale Umfeld wie z.B. die Arbeitsbedingungen zu hinterfragen, die Familien-Situation zu diskutieren etc. Siehe dazu auch die Details im Buch von R.Largo über „Das passendeLeben“.
Symptome sind Reaktionen des Organismus auf Fehlbelastung/Ueberbelastung des Menschen in irgendeiner Form und aus irgendwelcher Richtung .
Die Symptome sind jedoch nicht die Krankheit selbst, sondern lediglich Signale für eine Störung der Balance durch Fehlbelastung und/oder Ueberlastung. Dies kann bestehen aus körperlicher, psychischer (Stress), chemischer (Umwelteinflüsse), medikamentöser etc. Einflussnahme.
Eine Beseitigung der Symptome bedeutet deshalb nicht unbedingt Heilung. Aber genau das passiert heute häufig: Oft unterdrücken Ärzte die warnenden Symptome und meinen, die Krankheit zu heilen. Dabei wird nicht selten eine Störung einfach in ein anderes Organsystem verschoben. Dies wird dann oft unrichtig als Medikamenten-Nebenwirkung interpretiert, und möglicherweise auch wieder abgeklärt und „behandelt“. Die entsprechende Kostenfolge ist nur logisch.
Beachten wir also vor resp. gleichzeitig mit der Therapie die tieferliegenden Ursachen nicht, welche die Alarmreaktionen ausgelöst haben, drohen als Folge von Symptomunterdrückung oft Rückfälle oder letztendlich chronische Krankheiten. Beispiel: Beim Rauchen z.B. liegt es auf der Hand, dass wir nicht nur den Husten unterdrücken sollen, sondern zusätzlich einen Rauch-Stopp des hustenden Kranken anstreben. Dasselbe gilt auch bei vielen anderen Krankheitssymptomen: Auch die Ursachen aufdecken und eliminieren. Das ist die Herausforderung, für Ärzte UND für die Erkrankten.
Krankheit entsteht also sehr oft durch einen nicht erkannten, überlastenden und damit schädigenden Einfluss. Häufig manifestiert sich die Krankheit in Organbereichen, die schon bei den Vorfahren als gesundheitliche Schwachstellen aufgefallen sind und bekannt waren. Diese Krankheiten können verschiedene Ausprägungen aufweisen, welche der jeweiligen Individualität des erkrankten Menschen entsprechen. Wir finden also sehr oft eine persönliche Reaktionsweise resp. “Schwachstelle“. Dies äussert sich beispielsweise als ein Krankheitsbild mit entzündlicher Form (z.B. Pneumonie), als gutartig wuchernde (z.B. Polyp) oder als degenerativ-destruktive (zerfallende maligner Tumor, Arthrosen etc.) Manifestation. Es zeigen sich die verschiedensten Ausdrucksformen von Krankheit, solitär oder gemischt, in eher gutartiger oder bösartiger Ausprägung. Erst die Langzeit-Analyse einer Krankheitsentwicklung (Anamnese) führt deshalb zur Erkenntnis der möglichen Ursache und zu einer individualisierten Therapie. So kommt es dann oft zu einer klaren Vorstellung, wie fatale Verläufe abgeschwächt oder gar verhindert werden können. Besonders komplex und bisher noch nicht völlig geklärt ist die Entstehung von Tumoren. Verständnis von und Vorbeugung vor Tumorbildung erfordert noch viel Forschungsarbeit.
Die Ursache bestimmt die Therapie mit.
Sobald die Ursache einer chronischen oder akuten Störung erkannt ist, kann über die Behandlung entschieden werden. Ist eine Behandlung überhaupt notwendig (z.B. bei banaler «Erkältung»)? Ist aber eine Behandlung dringend nötig, und mit welcher Methode ?Zum Beispiel bei akuter Lebensgefahr)? Ist eine Behandlung überhaupt noch möglich (z.B. bei schwerer unheilbarer Krankheit, bei der dem Kranken möglichst wirksame Linderung des Leidens verschafft werden muss?
Allgemein ist die heutige Medizin und der Konsument versucht, bei banalen akuten Störungen zu oft, zu rasch und vor allem zu intensiv zu behandeln. Antreibend beim Kranken ist das Vermissen seines gewohnten Komfortgefühls. Man will sich möglichst schnell wieder wohlfühlen, nicht „leiden“, am Arbeitsplatz nicht fehlen, in 3 Tagen in die Ferien reisen etc. Diese Taktik kann schaden und zu teuren Folgekrankheiten führen. Denn eine Behandlung nach den aktuellen Guidelines mittels evidence based medicine führt, gerade bei Banalitäten. nicht selten zu so genannten Nebenwirkungen, die aber eigentliche Folgekrankheiten – im Wiederholungsfall häufig chronische Krankheiten – sind. Es existieren aber therapeutische Alternativen, die nicht bloss Symptom unterdrückend wirken. Sie setzen aber die Erkenntnis der Krankheits-Ursache voraus, damit die Planung und Gestaltung einer adäquaten, masshaltigen und nachhaltigen Behandlung erfolgen kann. Hilfreich ist dabei oft auch ist die Kenntnis alternativer Heilverfahren, welche schonend und nachhaltig wirken.
Bei jeder Behandlung einer Krankheit gilt es zu prüfen, ob mit alternativen Behandlungsmetoden – nebst der Elimination von Ursachen – also auch eine komplementärmedizinische Behandlung bereits genügen würde. Es kommt so zu weniger Symptom-Unterdrückung, und damit zu weniger Verschiebung in ein chronisches Krankheitsbild.
Wissen über das Wesen der Menschen vertiefen
Der Grundstein für eine individuelle, nachhaltige Behandlung liegt somit zuerst mal in der Anamnese. Doch wie lässt sich die Krankheitsentwicklung unter Berücksichtigung der persönlichen Voraussetzungen nachvollziehen oder voraussehen? Dazu muss ein breites Wissen über das Wesen des Menschen in psychischer und körperlicher Hinsicht vorliegen – sowohl bei Ärzten (Ausbildung erweitern!) als eventuell auch bei Patienten (Gesunden und Erkrankten). Das „Empowerment“ des Menschen. Siehe das Buch von R. Largo „Das passende Leben“, oder die Darstellung von H.R. Olpe „Stress, bis er uns umbringt“ .
Ärzte: Ausbildung, Beruf und Berufung
Literatur dazu:
- Prof. B. Lown, die verlorene Kunst des HeilensSuhrkampH. Gilbert Welch, „Overdiagnosed“, 2011, bei Beacon Press. In Deutsch „Die Diagnosefalle“, wie Gesunde zu Kranken erklärt werden bei www.rivaverlag.de
- Prof. Maio Giovanni „Medizin ohne Mass ? Vom Diktat des Machbaren zu einer Ethik der Besonnenheit Prof. Maio, Giovanni, Gesundheitswesen: Ärztliche Hilfe als Geschäftsmodell? Dtsch Arztebl 2012; 109(16): A-804 / B-69
- Prof. Maio, Giovanni, Gesundheitswesen „Geschäftsmodell Gesundheit“ wie der Markt die Heilkunst abschafft
- Prof. Maio, Giovanni, „Den kranken Menschen verstehen“ für eine Medizin der Zuwendung, Herder
Dr. H.R Olpe, „Bis der Stress uns umbringt“
Prof. Dr. Frank Nager „Goethe Der heilkundige Dichter“.
Prof. Nager schrieb (1994!) in diesem Buch eine ausgezeichnete Darstellung über die Medizin mit ihren naturwissenschaftlichen und – unverzichtbaren – philosophischen Bedingungen, sowie über die dringend notwendige Umgestaltung der Auswahl und Ausbildung der zukünftigen Aerzte. Ein ausgezeichnetes Buch des langjährigen Chefarztes am Kantonsspital Luzern und Dozenten an der Universität Zürich. Es geht Nager um die Gegenüberstellung von 2 polarisierenden Arzttypen und ihren Strebungen , nämlich die Doktoren Faust und Wagner, in denen unschwer heutige Mediziner mit unterschiedlichem Verständnis von Medizin zu erkennen sind. Ebenso ist es Nager ein grosses Bedürfnis, die Ausbildung zum Arzt-Sein gründlich zu revidieren. Dies ist leider bis heute nicht geschehen.
Den jungen Leuten. die sich berufen fühlen, muss UNBEDINGT eine adäquate Ausbildung angeboten werden! Die heutige Ausbildung ist noch immer eher unvollständig, muss erweitert werden. Die Gewichtung der „Technologie“ ist recht dominant. Es ist zu hoffen dass im teils fragwürdigen Auswahlverfahren des „Numerus clausus“ vorwiegend die geeignetsten Bewerber das Los der Zulassung zum Studium ziehen…. Nur einige von vielen Beispielen: Wie prüft man die Fähigkeit zur Empathie? Wie erkennt man die kommunikativen Eigenschaften? Wie kann man erkennen, ob ein Kandidat v.a. aus Gründen des Status, oder aus finanziellen Zukunftshoffnungen diesen Beruf anpeilt?
Das Basis-Wissen muss auf den Grundgesetzen der Anatomie, der Biologie, der Anthropologie, der Physiologie, Psychologie, der angewandten Medizin basieren.. Diese Disziplinen gehören zum Pflichtprogramm während des Studiums.
Zur Kür gehört die Bildung einer kommunikativen Kompetenz sowie einer empathischen und rücksichtsvollen Haltung des Arztes gegenüber dem Kranken und seinen Angehörigen. Dies kann im Studium nicht einfach erarbeitet werden, sondern beruht oft auf Eigenschaften, die ein Student schon in sich trägt. Diesen Eigenschaften muss bei der Auswahl der Studienanwärter grosses Gewicht beigemessen werden.
Eine wichtige Aufgabe obliegt in der Ausbildung auch den Lehrenden, den Dozenten sowie dem medizinischen Kader im Spital. Sie sind aufgefordert, die ärztliche Grundhaltung begleitet von Erfahrungs-Wissen, als Ausbildner und Vorbilder vorzuleben, zu fördern und bei den Studierenden Empathie zu wecken, also Verständnis für den Kranken zu entwickeln. Allen muss dazu die nötige Zeit eingeräumt werden, an der es in der heutigen Hektik in den Ausbildungs-Kliniken oft fehlt. Neben den sozialen Aspekten gilt es auch, die Studenten zu einem nachhaltigen und vernünftigen Umgang (Indikation und nicht Amortisation!) mit technischen Geräten und Therapien iwS heranzuführen. Der Gefahr von über-technisierter und Profit-orientierter Medizin und entsprechender ärztlicher Haltung ist Beachtung zu schenken, resp. zu begegnen. Siehe Literatur von Prof. G. Maio: „Geschäftsmodell Gesundheit: wie der Markt die Heilkunst abschafft“ sowie vom gleichen Autor: „Medizin ohne Mass?“ Ebenfalls wichtiges Buch zum Verstehen, wie Krankheiten entstehen können, resp. derenVerschlimmerung angehalten werden kann: Das angepasste Leben anstreben: siehe R.Largo „Das passende Leben“ (im Kapitel „Stress“)
Zwingend nötige Postulate resp. Lerninhalte in der Aus- und Weiterbildung der Aerzte:
- Das Auswahlverfahren für die Zulassung zum Medizinstudium (Numerus clausus) ist DRINGEND zu überarbeiten! Die für diesen Beruf WIRKLICH Fähigsten müssen zugelassen werden….Siehe dazu auch im Buch von Prof. Frank Nager
- Gelehrt werden müssen unbedingt die profunden Kenntnisse der umfassenden biologischen Grundlagen des Menschen in gesundem und krankem Zustand.
- Mindestens Basiskenntnisse der Anthropologie, Genetik und Epigenetik zum besseren Verständnis von Reaktionsmustern des Menschen in biologischer und psychologischer Hinsicht. Diese Muster, erworben im Verlaufe der Evolution, existieren auch heute noch und begegnen uns im Umgang mit Menschen, auch den Kranken, täglich. Das verstehen dieser Muster ist in der täglichen ärztlichen Arbeit unerlässlich.
- Die Entwicklung des Menschen ab Geburt im Sinne der Zürcher Longitudinalstudie (nach Prader, Fanconi und speziell R. Largo )muss unbedingt begriffen und umgesetzt werden. (Literatur siehe im Kapitel „Stress“)
- Studium der Anthropologie und der Physiologie. Es lässt Eigenheiten und Verhaltensmuster des Menschen in den verschiedensten Lebenslagen verstehen, sowie krankheits-spezifische körperliche Phänomene zu begreifen.
- Schulung der Anamnese (z.B. nach Prof. Lown)
- Studium der Ätiologie: Dabei zentral die heutigen Erkenntnisse über den schädlichen Stress = Distress, toxischer Stress.
- Studium der evolutiven Prozesse resp. der Anpassungsfähigkeit des Lebendigen auf der Zeitachse einerseits und die Zunahme der Anforderungen der umgebenden Welt andererseits – sowohl in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart. Erkenntnis des zunehmenden Auseinanderdriften von „Müssen“ und „Können““. (siehe auch R.Largo, „Das passende Leben“
- Differenzierung vom Möglichen und Notwendigem.
- Besonnenheit und Reflexion müssen im Fokus stehen bei diagnostischen und therapeutischen Überlegungen und in deren Umsetzung .
- Nicht alles Machbare muss auch gemacht werden. Nur, dann wenn ein echter nachhaltiger Patientennutzen resultieren kann.
- Schulung der Patientenwahrnehmung: Individualität des Kranken, seine Belastbarkeit, für das Leben (Herausforderung oder Überforderung), für die Krankheit und Belastbarkeit für die Therapie…
- Aktualität des Wissens ist anstreben durch lebenslanges Lernen und Selbstreflektion.
- Studium der komplementärmedizinischen Möglichkeiten, speziell gegen einfache Befindlichkeitsstörungen, zwecks Vermeidung von Entwicklung zu rezidivierenden, resp. chron. Krankheiten. Kausalität suchen und wenn möglich entschärfen/eliminieren.
- In Diagnostik und Therapie wichtig: choosing wisely! siehe http://www.samw.ch/de/Projekte/Nachhaltiges-Gesundheitssystem/Choosing-wisely.html
Selbstverantwortung der Patienten
Gesundheit, Krankheit, Therapie, Heilung – im Zentrum steht immer der Patient. Er ist direkt betroffen. Deshalb soll er die Verantwortung nicht an Ärzte oder Therapeuten delegieren, sondern selber aktiv bleiben. Wichtige Aufgaben dabei sind: Überforderungen erkennen, Gesundheitsvorsorge ernst nehmen, Hysterie aufgrund von Fehlinformationen vermeiden (TV-Serien), Dialog mit den Behandelnden fordern und pflegen etc.
Folgende Hinweise führen zur Selbstverantwortung der Patienten:
- Verantwortungsbewusste Auswahl von Informationsquellen
- Gesundheitserziehung in der Familie und in der Schule mit dem Ziel: Selbstkompetenz bezgl. Gesundheit/Krankheit.
- Anwendung von Hausmittel lernen
- Komplementärmedizin nutzen
- Medikamente gezielt einsetzen (in Absprache mit Arzt oder Apotheker)
- Patientenverfügung verfassen und regelmässig aktualisieren
Fazit: So viel Medizin wie nötig, so wenig wie möglich und/aber vom Arzt verantwortet!
Bei Erkrankten besteht der verständliche Wunsch, möglichst rasch wieder in einen komfortablen Zustand zu gelangen, sei es bei psychischer oder körperlicher Störung, in leichter oder schwerer Ausprägung. Der Mediziner begegnet diesem Wunsch oft mit rasch wirksamen Medikamenten, Untersuchungen etc. Eine rasche Wiederherstellung der vollen vorherigen Funktion wird erzwungen, teilweise mit negativen Folgen. Die eventuell nötige Erholungszeit wird kaum oder zu wenig berücksichtigt. Gesundheitliche Störungen zu analysieren verlangt vom Arzt eine gute Wahrnehmung. Handelt es sich um eine akute Störung, ist Diagnostik und Therapie nach ausgewogener Beurteilung und Würdigung aller Umstände – eventuell auch im Team – anzustreben. Damit sinkt das Risiko einerFehlbeurteilung (mit Behandlungsfehlern und ökonomischen Folgen). Überdiagnostik und Übertherapien sind ebenso bedenklich und risikobehaftet wie Unter-Diagnostik und Unter-Therapie! Gerade auch neue Krankheitsbilder, die beispielsweise durch Distress entstehen, bedürfen genauer Abklärungen. Ihre Ursachen liegen häufig in gesellschaftlichen Strukturen und sind oft schwer fass- und veränderbar. Gerade beim Thema „Stress“ ist die Grenze zwischen der förderlichen Anregung und der schädigenden Aufregung schmal. Das Eine vom Andern zu trennen braucht Achtsamkeit und Geduld – vom Arzt wie vom Patienten. Ein Miteinander ist angezeigt. Als Ergebnis der Kooperation mit dem Patienten können chronische Krankheitsverläufe vermindert und verbessert werden. Beachte auch das Kapitel «Stress – Distress».